Fahrbericht Renault Talisman Initiale Paris: Die komfortable Ruhe

22f076b260de44078144c14b0eb0c3d2 - Fahrbericht Renault Talisman Initiale Paris: Die komfortable Ruhe

Dieses Wochenende sind die Händlereinführungstage des neuen Renault Talisman. Wir sind die höchste Ausstattungsstufe “Initiale Paris” mit dem 160 PS starken Diesel bereits Ende letzten Jahres zusammen mit dem überaus beeindruckenden Renault Mégane gefahren. Gut, wir sprangen vor unkontrollierter Begeisterung nicht gerade von der Brücke, aber erkannten durchaus einiges Potential, das wir dem Glücksbringer gerne zurechnen. Doch wissentlich, dass er es auf dem hart umkämpften und von den Marktführern, wie beispielsweise Audi A4 oder Skoda Superb, beherrschenden Markt sehr schwer haben wird. Die Gründe für diese These werden im Folgenden erläutert.

Galerie: Renault Talisman Integrale im Test

Renault Talisman Integrale im Test
Bild 3 von 23

Renault Talisman Integrale im Test

Renault mit stark rückläufigen Verkäufen im Mittelklassesegment

Das ist jetzt zwar keine Erklärung dafür, warum es Renault auf dem deutschen Markt schwer hat, doch zeigt es die Fakten. Denn in den vergangenen Jahren gingen die Absatzzahlen der Mittelklasse von Renault zunehmend in den untersten vierstelligen Bereich: nur noch 1.541 Exemplare verkaufte Renault im Jahr 2014 von seinem Renault Laguna – dem Vorgänger des Talisman. Im Jahr 2005 waren dies noch rund 10.000 Einheiten.

Doch das soll mit dem Talisman jetzt wieder alles anders werden: er ist der Hoffnungsträger der französischen Mittelklasse.

Mutiges Design – optisch gefallen tut der Renault Talisman durchaus

Der Renault Talisman kommt mit einem frischen Gesicht mit LED-Leisten in Form eines französischen Lächelns daher; am Heck unterstreichen ebenfalls LED-Bänder die Breite der Limousine. Das ist ein wirklich gutes Design für einen Neustart eines Totgesagten, dessen Urgroßeltern schon einmal viele Anhänger vorweisen konnten. Und wie heißt es so schön: der erste Eindruck zählt. Und innerhalb von einer Sekunde ist schon klar: der ist mir sympathisch.

Der 4.849 mm lange, 1.868 mm breite und 1.463 mm hohe Mittelklassewagen mit einem Radstand von 2.808 mm liegt von den Proportionen satt auf der Straße und bringt seine Größe elegant zum Ausdruck.

Mit einem Gewicht von 1.597 Kilogramm liegt er – gewichtsmäßig – im guten Durchschnitt.

Das Interieur der Topversion Initiale Paris muss wertiger werden

Nun, das Exterieur ist optisch sehr wohl interessant, im Interieur fehlt es jedoch – angesichts der Topversion Initiale Paris – an liebevollen Details und durchgehend hochwertigen Materialien. Das Interieur, in dem wir saßen, hätte der Basisversion zugehörig sein können, nicht aber der eigentlich modisch-orientierten Initiale Paris-Version.

Das ist schade, denn Plastik scheint beim Renault Talisman ein beliebter Verkleidungsstoff zu sein – so ganz anders als es Pariser Modeschöpfer machen würden. So völlig unpariserisch. So ist zum Beispiel alles unter dem LED-Band am Armaturenbrett aus Plastik (wir sagen bewusst nicht Kunststoff), auch die seitlichen Verkleidungen des Mitteltunnels. Nicht schön. Und schon garnicht Parisienne.

Der Top-Diesel ist einfach zu schwach und zu lahm

Klar wissen wir, dass solch ein Auto nicht für Landstraßen-Räubereien oder Autobahn-Rennereien gedacht ist. Ja, das wissen wir, auch wenn die Instruktoren beim Fahrevent des Talisman uns dies auch immer wieder verinnerlichen mussten.

ABER: es kann nicht sein, dass man in der Topversion eines Fahrzeuges – gleich welcher Bauart oder Marke – auf Landstraßen nicht zügig überholen kann. Und mit zügig meinen wir, dass man mit dem Entgegenkommenden nicht gerade jedes Mal Angsthase spielen will – auch wenn es in US-Amerikansichen Filmen immer einen ganz lustigen Eindruck vermittelt.

Das spürt man auch an den Beschleunigungswerten im Vergleich zum Wettbewerb: von 0 auf 100 Km/h fährt der Renault Talisman 160 dCi in 9,4 Sekunden. 10 PS weniger sind es beispielsweise im Audi A4 TDI mit Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe, doch dieser schafft den Sprint in 8,7 Sekunden. Selbst mit Handschaltung ist dieser noch um 0,5 Sekunden schneller. Und dieses Defizit spürt man auch in Form einer quälenden Beschleunigung bis rund 3.000 Touren, danach möchte man den Topdiesel erlösen – die Doppelkupplung eilt dann meist auch zur Stelle.

Für einen Einstiegsmotor sind die 160 Diesel-PS und 380 Nm Drehmoment bei rund 1,6 Tonnen Fahrzeuggewicht völlig in Ordnung. Doch Kunden, vor allem deutsche Kunden, wollen zumindest optional mehr Leistung haben. 200 Diesel-PS wären hier eine gute Sache.

Allradlenkung mit merklichen Vorteilen

Auch Tom von 1300.ccm stellt die herausragenden Vorteile der Allradlenkung dar: um bis zu 3,5 Grad werden die Hinterräder angewinkelt; bei Geschwindigkeiten unter 60 Km/h gegenläufig zur Vorderachse, über 60 Km/h parallel zur Vorderachse. Und ja, das spürt man bei schwungvollen Landstraßenfahrten: wie schon beim Renault Mégane GT (der ebenfalls über eine Hinterachslenkung verfügt) stabilisiert das Hinterrad-Lenken die Hinterachse – das gesamte Auto fährt einfach bündiger, sauberer und gezielter durch die Kurven.

Die Sache mit der emotionalen Bindung an ein Automobil ..

.. französischer Bauart. So toll nun das Kurvenverhalten mit Hinterachslenkung ist (eine straffere Federung wäre dennoch wünschenswert), der Renault Talisman fährt sich ziemlich emotionslos. Und das ist schade; sind doch die Italiener und Franzosen so auf Emotion und Leidenschaft aus.

Wir stellen uns auch schon seit mehreren Jahren die Frage, was ein Automobil emotional macht. Demnächst erscheint (hoffentlich) ein ganzer Artikel darüber hier bei uns. Sind es nur die Marketing-Kampagnen – die Werbevideos mit gut aussehenden Nachtschwärmern in den Metropolen dieser Welt? Wahrscheinlich auch. Aber nicht nur.

So haben wir bislang vom Renault Mégane GT keine solchen Kampagnen gesehen und spürten dennoch die Leidenschaft der Entwickler, Konstrukteure und die der Produktionsmannschaft in dem Auto. Alles war fest, alles passte – fast alles war durchdacht und mit viel Liebe und Sachverstand am richtigen Ort. Man spürte die Leidenschaft für die Fortbewegung, für die Straße, für das Austarieren des Fahrwerks in Einigkeit mit der Lenkung. Kurzum: man spürte die Sinnhaftigkeit und Daseinsberechtigung dieses Automobils.

Dieses Gefühl spürten wir beim Talisman nicht. Klar, hier zählen andere Identifikationsmerkmale, wie Raumgefühl, Business-Atmosphäre, historischer Zusammenhang sowie Romantik für den nächtlichen Ausflug in die Oper. Doch die Details, die dem Talisman zu einer auch physikalisch attraktiven Aura verhelfen, fehlen oder sind gar deplatziert oder nicht ausgereift. Auch der historische Bezug fehlt in jeglicher Form. Nicht einmal irgendein Stilelement – sei es im Interieur oder am Exterieur – aus den früheren Jahren ist eingearbeitet. In dieser Form wirkt er leider etwas langweilig. Nun: ideal für ein Flottenfahrzeug.

Umfangreiche Serienausstattung im Renault Initiale Paris

Zur Serienausstattung der Topversion Renault Talisman Initiale Paris gehören das adaptive Fahrwerk, die dynamische Allradlenkung sowie die 360-Grad-Rundum-Einparkhilfe mit Rückfahrkamera. Assistenzsysteme wie Sicherheitsabstand-Warner, Toter-Winkel-Warner und Notbremsassistent fehlen ebenfalls nicht an Bord des französischen Schlittens.

Schon in der Basisversion – genannt “Life” – erwartet die Insassen eine Zwei-Zonen-Klimaautomatik, ein Multimediasystem mit integriertem Navigationssystem und ein sieben Zoll großer Touchscreen an Bord. Ebenfalls serienmäßig ist schon die Massagefunktion in den Vordersitzen, die Einparkhilfe hinten und die in vielen verschiedenen Farben einstellbare Farbe der Innenraumbeleuchtung. Letztere ist an die verschiedenen Fahrmodi gekoppelt, um entweder einen “sportlichen” oder einen “komfortablen” Eindruck zu vermitteln.

Ebenfalls serienmäßig ist das Head-Up-Display, das die Anzeige über eine separate Plexiglas-Scheibe auf dem Armaturenträger (also keine Projektion ins Scheibenglas) bringt. Akustik-Verglasungen, die den Innenraum deutlich leiser gestalten sollen, bringen nicht so viel, wenn man den Dieselmotor mit seiner geringen Leistung immer in den oberen Drehzahlen bewegen muss, um überhaupt mitkommen zu können. Vorne befinden sich auch elektrische und belüftete Sitze. Die Beschallung erfolgt über eine Bose-Anlage mit 13 Lautsprechern.

Das alles sind Serienumfänge, die in den Konkurrenzfahrzeugen – selbst in ihren jeweiligen Topmodellen – meist Aufpreis-pflichtig sind. Auch haben die meisten Wettbewerber keine Wartungsintervalle von 30.000 Kilometern. Das zeigt, dass sich Renault Gedanken macht. Doch völlig überzeugend ist dieses Projekt noch nicht – wir erwarten hoffnungsvoll das Facelift.

Die Technischen Daten des Renault Talisman Initiale Paris im Überblick

  • Typ: Renault Talisman Initiale Paris Energy dCI 160 EDC
  • Grundpreis: 39.750 Euro (01/2016)
  • Motor: 4-Zylinder-Turbo-Dieselmotor
  • Emissionsklasse: Euro 6
  • Antrieb: Frontantrieb
  • Getriebe: 6-Gang-Doppelkupplungsgetriebe
  • Hubraum: 1.598 ccm
  • max. Leistung: 160 PS bei 4.000 1/min
  • max. Drehmoment: 380 Nm / 1.750 1/min
  • Höchstgeschwindigkeit: 215 km/h
  • Beschleunigung von 0 auf 100 Km/h: 9,4 Sekunden
  • Verbrauch kombiniert: 4,5 Liter/100 Km (NEFZ)
  • Versicherungstypklassen: 17, 26, 24 (Haftpflicht, Voll-, Teilkasko)
  • Wartungsintervalle: alle 30.000 Kilometer oder 12 Monate

Benjamin Brodbeck

Benjamin Brodbeck ist 33 Jahre alt und studierte Automobilwirtschaft bei Prof. Dr. Diez. Danach wechselte er an die Universität Wien, wo er Publizistik- und Kommunikationswissenschaften studierte und mit dem akademischen Grad 'Magister der Philosophie' abschloss. Neben seiner Tätigkeit als Jazz-Pianist bringt er seine Leidenschaft für und sein Wissen von Automobilen in Form und Sprache als Publizist bei AUTOmativ.de sowie zahlreichen weiteren Plattformen und Unternehmen zum Ausdruck.

Benjamin Brodbeck has 1402 posts and counting. See all posts by Benjamin Brodbeck

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert