Exklusive Werksbesichtigung bei Renault Sport F1 in Enstone: Prototypenbau ad absurdum

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Eine technische Materialprüfung bevor er für nahezu jedes Rennen neu entworfen und gebaut wird? Fehlanzeige. Auf gut Glück werden die Rohre des Abgasstrangs nach Möglichkeit so perfekt wie möglich und von Hand gefertigt – und einfach an den Motor angeschraubt. Spektakulär ist auch, dass alle anderen Teile des Formel 1 Autos minutiös geröntgt werden – oftmals tagelang, an einer Maschine, 24 Stunden durchgehend. Ein kurzer Einblick in die abgefahrene und unglaubliche Präzision und Handarbeit eines Formel 1 Rennstalls!

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Wer hat schon die Möglichkeit, einen originalen Abgasstrang eines Formel 1 Autos in den eigenen Händen zu halten? Schon das ist beeindruckend. Noch viel beeindruckender: Für fast jedes Rennen wird diese Einheit neu entworfen und gefertigt, denn die alte ist entweder “alt” und nicht mehr auf dem neuesten Entwicklungsstand oder einfach kaputt. Ein Meister fertigt die sechs Rohre, die an die jeweiligen Zylinderausgänge montiert werden, von Hand – und hofft auf korrekt platzierte Schweißnähte und die richtig gewählte Rohrsymmetrie. Das ist Kunst – richtige Kunst!

Ein neues Auto für jedes Rennen

Aus der Kategorie “Wussten Sie’s?” blickt dieser Beitrag hinter die Kulissen der Formel 1. Beim exklusiven Besuch des Renault Sport F1 Teams mit Infiniti als technischem Partner in Enstone im Umkreis von Silverstone wurde ich tatsächlich wieder für die Königsklasse des Rennsports sensibilisiert. Und das als absoluter – über die Jahre gewordener – Nicht-Fan dieser hochtechnologisierten Rennklasse.

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Normalerweise absolut verboten, in der Box Bilder vom Fahrzeug zu machen. Aber in diesem Moment war es erlaubt, da die Verkleidung des Motors geschlossen war.

Die Formel 1 Rennställe entwickeln für jedes neue Rennwochenende ein neues Auto. Klingt nicht nachvollziehbar? Dachte ich auch. Fakt ist: Nicht nur Renault Sport F1 konstruiert seine beiden Fahrzeuge stetig weiter. Für jedes Rennwochenende werden neue Teile ausprobiert und getestet, neue Einstellungen und Abstimmungen gefahren. Das heißt, ein vor der Saison präsentierter Formel 1 Bolide bleibt nie so wie präsentiert. Nicht nur werden Karosserieteile fortwährend neu konstruiert und gefertigt, sondern auch Fahrwerksteile, Elemente des Chassis und Antriebseinheiten – alles natürlich im Rahmen des Reglements. Aber im Prinzip entsteht für jedes Rennwochenende ein neues Auto.

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Da Infiniti der technische Partner des Renault Sport F1 Teams ist, stehen auch einige Fahrzeuge der Edelmarke von Nissan auf dem Entwicklungsgelände von Renault Sport in Enstone. Schade: Infiniti hat sich kürzlich aus dem EU-Markt zurückgezogen.

Eine Person röntgt das ganze Auto durch – in Einzelteilen

Das kann man sich eigentlich nicht vorstellen: Nach (oder vor, je nachdem wie man es sieht) jedem Rennen werden beide Autos – ganz gleich in welchem Zustand – vollständig nach Enstone in Oxfordshire zurücktransportiert, auseinandergenommen und die Einzelteile von Hand geröntgt.

Besonderheit an Enstone: Hier und im Umkreis sitzen nahezu alle Formel 1 Rennställe. Das hat nicht nur den Vorteil, dass man dort gebündeltes Wissen an Hochtechnologie sitzen hat, sondern ist auch historisch geprägt. Außerdem befinden sich auch in dieser Region die meisten Zulieferbetriebe, die Teile und Softwarelösungen für die Formel 1 Rennställe entwickeln.

Das macht für ein Auto meistens eine Person. Heißt: Jedes Teil muss im Röntgengerät positioniert, geröntgt und dokumentiert sowie geprüft werden. Ein Wahnsinns-Job. Das funktioniert natürlich nur, wenn die Teams zwischen zwei Rennen mindestens zwei Wochen Pause haben. Bilder des Röntgenraumes dürfen wir natürlich hier nicht veröffentlichen. Aber es sieht ein bisschen aus wie in der Radiologie einer kleinen Zahnartzt-Praxis. Denn es werden auch viele kleine Schrauben und Carbonteile geröntgt, da bei einem Formel 1 Auto ja alles so detailliert und filigran ist.

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Wer darf beim exklusiven Rennen in Silverstone nicht fehlen? Genau: Sir Jackie Stewart ist natürlich traditionell auch mit von der Partie.

Kontrollzentrum in Enstone mit rund 50 Mann

Auch hier gilt: Photographieren strengstens verboten. Rund 50 Männer und Frauen sitzen in vier durch einen Mittelgang getrennten Reihen mit separaten Monitoren, Telefonen und Laptops einer etwa zehn Meter breiten und rund zwei Meter hohen Wand aus Bildschirmen gegenüber. Dort laufen an einem Rennwochenende permanente Streckenbilder, Telemetriedaten, Liveblogs, Kommentatorstimmen der jeweiligen Fernsehsender, Timetables und vieles mehr. Hier wird gerechnet, kommentiert, taktiert, diskutiert und fortwährend mit der Box und den Fahrern kommuniziert. Schließlich muss man auf einfach alles vorbereitet sein. Im schlimmsten Fall auf einen Totalausfall. Dann kann selbst das hochtechnologisierte Kontrollzentrum kaum etwas machen. Jedoch kommen zum Beispiel die Tankstrategien aus diesem Raum.

Wenn ich nicht wüsste, dass ich in einem Kontrollraum eines Formel 1 Rennstalls stehe, würde ich annehmen, die NASA hätte mir einen exklusiven Blick hinter ihre Kulissen gewährt. Ungefähr so – nur vielleicht noch etwas größer – stelle ich mir auch einen NASA-Kontrollraum vor. Extrem beeindruckend. Der Raum ist hinter Glas auf einer Empore über der Werkstatt mit den beiden Plätzen für die beiden Autos. Alles ist exakt nach FIA-Reglement umgesetzt, schließlich schickt die größte und mächtigste Motorsportorganisation 24/7 jemanden zur Überwachung in die Rennställe.

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Kämpfen an der heißen Front in der Box, während die Kollegen hinter Glas im klimatisierten Kontrollzentrum sitzen. Doch alle dürften im Zweifel schwitzen.

Knapp 900 PS aus einem 1,6 Liter-V6

Noch beachtlicher ist die Leistung der 743 Kilogramm wiegenden kleinen Raketen: Nicht ganz 900 PS Peak-Leistung sind möglich. Der aufmerksame Leser bemerkt, dass jenes Leistungsgewicht rund 0,8 Kilogramm pro PS beträgt. Das ist schon der helle Wahnsinn und muss unter Volllast erst einmal gezähmt werden.

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Rocket Science: Das Lenkrad der Formel 1 Fahrzeuge ist komplex – und muss von den Fahrern im Schlaf und ohne hinzuschauen beherrscht werden.

Benjamin Brodbeck

Benjamin Brodbeck ist 33 Jahre alt und studierte Automobilwirtschaft bei Prof. Dr. Diez. Danach wechselte er an die Universität Wien, wo er Publizistik- und Kommunikationswissenschaften studierte und mit dem akademischen Grad 'Magister der Philosophie' abschloss. Neben seiner Tätigkeit als Jazz-Pianist bringt er seine Leidenschaft für und sein Wissen von Automobilen in Form und Sprache als Publizist bei AUTOmativ.de sowie zahlreichen weiteren Plattformen und Unternehmen zum Ausdruck.

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