Test VW Golf GTI TCR: Wie viel Rennwagen steckt im Super-Golf 7?

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Ein kleiner, unspektakulärer, jedoch – immerhin – roter Kunststoff-Knopf am Lenkrad erweckt den Zweiliter-Vierzylinder zum Leben. Feuerfest eingepackt, mit sechs breiten Leinen stramm festgezurrt und formschlüssig in die Schalen integriert, spürt mein gesamter Körper das lautstarke Zünden der vier Zylinder. Hiermit ist klar: Ich sitze am Steuer des VW Golf GTI TCR Rennwagens – nicht der zivilen Serienversion. Weil die beiden Derivate sich aber kompromisslos den Namen teilen, müssen sich gemeinsame Eigenschaften ja irgendwo bemerkbar machen. Es folgt ein ausführlicher – und außergewöhnlicher – Fahrbericht des letzten und mächtigsten VW Golf 7 Derivates sowie ein exklusiver Einblick in die Welt des Rundstreckensports.

Technische Parallelen: Motor, Getriebe und Lenkung

Meine Hände sind von tiefblauen Alcantara-Handschuhen umhüllt. Die Sohlen meines ebenso feuerfesten Schuhwerks liegen jeweils auf Brems- und Gaspedal. In der Mittelkonsole neben mir befindet sich der Drehregler für die Bremskraftverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse, der Kippschalter für das Licht und ein DSG-Wählhebel, der aussieht, als wäre er aus einem Golf BlueMotion.

Galerie: VW Golf GTI TCR 2019

VW Golf GTI TCR 2019
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Jene Schaltkulisse sieht in der Straßenvariante definitiv sportlicher aus, ist sie doch mit rot lackierten Zierleisten am Kopf des Wählhebels versehen. Aber was bedeutet überhaupt „sportlicher“? Wenn das Gesamtpaket offensichtlich nach Sport aussieht, kann selbst ein Standard-Teil aus dem Familienfahrzeug-Regal nichts am kompromisslosen Motorsport ändern. Oder mit anderen Worten: Der GTI TCR Rennwagen muss nicht zeigen, dass er ein Rennwagen ist. Wohl aber andersherum.

Wie auch immer – bei der Version des VW Golf GTI TCR Rennwagens mit Doppelkupplungsgetriebe, der in dieser Form 95.000 Euro kostet, legt man den Wählhebel gewohnt zivil in Fahrstufe „D“ bzw. „M“ ein und startet dementsprechend. Wohl horchend auf meinen sanften Befehl zum Start, setzt der auf 350 PS erstarkte Antriebsstrang sich ebenso sanft, wohl aber mit erneut lautstarkem Gebrüll in Gang.

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Rein optisch hat der Golf GTI TCR Rennwagen schon Ähnlichkeit mit seinem Straßen-Bruder. Der Heckspoiler sowie das Breitbau-Kit machen ihn aber zum unverkennbaren Rundstrecken-Boliden.

350 PS klingen nach aufgeblasenem Mittelklasse-Familien-Diesel? 350 PS in einem ausgebeinten Golf, bei dem nicht einmal mehr ein Armaturenbrett existiert und das Lenkrad eher nach Formel 1 als nach Multifunktions-Sportler aussieht, fühlen sich tatsächlich nicht nach Familie an.

Teile der Lenkung des Rennwagens finden sich auch im straßenzugelassenen Namensbruder wieder. Und auch das 2.0 Liter Aggregat ist in seiner Bauform ähnlich mit dem der zivilen TCR-Version. Ebenso ähneln sich natürlich auch Teile des Antriebsstrangs.

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Kurz vor dem Start im Renn-Golf: Fest eingepackt und angeschnallt halten einen Schalen und Sechspunkt-Gurte fest. Ein Traum? Ja. Zumindest für einen Motorjournalisten wie mich.

Kreischendes Verlangen nach Drehzahlen

Schon kurz nach Verlassen der Boxengasse ist jedes einzelne Element des Breitbau-Golfs ganz automatisch im kompromisslosen Motorsportmodus. Mein Blut kocht – mein Herz ahmt gefühlt die Zylinderfrequenz nach. Mein rechter Fuß kann sich in diesem Moment nicht halten und gibt den Befehl zur völligen Eskalation. Es scheint, als würde der Innenraum von einem der mächtigsten Orchester überhaupt bespielt, stetig darauf wartend, dass der Taktgeber an sein Drehzahlende gelangt, um die nächste Stufe zu zünden.

Eine Alternative zum VW Golf GTI TCR? Definitiv! Und ihn gibt es auch noch als Sechsgang-Handschalter …

Gelbe und teilweise rote LED-Einheiten blitzen regelmäßig auf und erinnern mich mit Nachdruck an das Erreichen des Drehzahlbandes. Die Gänge werden mittels Alupaddles hinter der Lenkeinheit millisekundengenau eingesteuert und von einem scharf-trockenen Zwischenbollern untermalt. Und – ganz im Gegensatz zu Draußen – ist es im Interieur noch leise.

Bei der Straßenversion hingegen ist der Sound äußerst sozialverträglich. Der Innenraum wird zwar mit satten und wohlklingenden Vierzylinder-GTI-Frequenzen bespielt, dringt aber nicht wirklich zu meinem Emotionszentrum durch. Eine verschärfte Akrapovic-Abgasanlage – analog Golf R – ist aktuell nicht verfügbar.

Kurvenräuber sind beide GTI TCR – auf ihre Weise

Mein linker Fuß steht voll auf der Bremse; richtig Kraft aufbringen muss man, um die 1.250 Kilogramm in die Schikane zu bremsen. Gleichzeitig ziehen Mittel- und Zeigefinger am linken Paddle, um mit dem zweiten Gang schon deutlich vor dem Scheitelpunkt der Spitzkehre wieder das Gaspedal zu fordern.

Golf GTI TCR oder doch den rund 5.000 Euro günstigeren GTI Performance?

Und tatsächlich habe ich so etwas noch nie selbst erfahren: der VW Golf GTI TCR Rennwagen klebt derart auf dem Asphalt, das Kurvengeschwindigkeiten möglich sind, die man mit einem straßenzugelassenen Auto – ganz gleich welcher Bauart – niemals erreichen könnte. Krass. Ab der zweiten Kurve schon fühle ich mich wohl an Bord – und will nie wieder aussteigen.

Einige Elemente der Lenkung erbte die straßenzugelassene Version von seinem Rennbruder. Und ja, das merkt man: die Präzision, den Vorderwagen in die Kurve zu manövrieren, ist ähnlich. Auch der Charakter des stabilen Hecks weist Parallelen auf, auch wenn der straßenzugelassene VW Golf GTI TCR beim scharfen Anbremsen leicht zu Wedeln beginnt. Aber das macht solch ein Fahrzeug doch aus, nicht wahr?

Die 290 PS und 380 Nm Drehmoment des VW Golf TCR fühlen sich nicht nur auf der Start- und Zielgeraden gut an, sondern auch beim Herausbeschleunigen aus Kurven: die Gasannahme ist spontan und direkt – die Balance zwischen Vorder- und Hinterachse harmonisch. Natürlich trägt auch das mechanische Vorderachsdifferential seinen Teil dazu bei, die gesamten 1,5 Tonnen so schnell aus den Kurven zu ziehen. Und das auch noch mit Freude beim Fahrer.

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Die Bremsen an der Vorderachse sind nicht nur gelocht – sondern auch leichter. Und sie bremsen verdammt gut und fein dosierbar.

Erhöhter Serienumfang im VW Golf GTI TCR

Der VW Golf GTI TCR bekommt noch einmal einen erhöhten Serienumfang gegenüber dem GTI Performance mit 245 PS. Neben der Mehrleistung gibt es andere Sitze mit neuem Stoffbezug und minimal verstärkten Seitenwangen, 18-, wahlweise 19-Zoll große Felgen, ein um 5 Millimeter tieferes Fahrwerk, das größte Multimediasystem im Interieur und einige Dinge mehr, die jene 5.000 Euro Mehrpreis teilweise rechtfertigen.

Der überzeugendste Punkt, der einfach anders ist, als beim Performance-Modell ist aber die Abstimmung des TCR-GTI.

Fazit zum VW Golf GTI TCR

Die sichere Abstimmung in Kombination mit der präzisen Befehlsannahme von Lenkung, Gas und Bremse machen die straßenzugelassene Version des VW Golf GTI TCR zu einer echten Alternative im Kompaktsportler-Segment. Und weil die typisch sichere Volkswagen-Abstimmung in diesem Segment der reinen Fahrkönner-Autos für Unmut sorgen würde, hat Volkswagen ein kleines fahraktives Schmankerl beigelegt. Mit anderen Worten: er fährt sich nicht ganz so sicher und einfach wie der GTI Performance.

Der erhöhte Serienumfang sowie seine ausgezeichneten Fahreigenschaften befördern ihn zum Meister in der Klasse. Auch wenn ich persönlich sehr am Renault Mégane R.S. hänge: seine Abstimmung ist für den Alltag sehr spitz – und für die Rennstrecke ein fortwährendes Risiko.

 Bewertung VW Golf GTI TCR (2019)
 Optischer Eindruck +++++
 Qualität Karosserie +++++
 Lackqualität Karosserie +++++
 Qualität im Interieur +++++
 Sitzkomfort Cockpit ++++
 Sitzkomfort Fonds ++++
 Digitales Bedienkonzept ++++
 Raumangebot ++++
 Innenraumgeräusch / Dämmung +++
 Lenkung +++++
 Spurtreue ++++
 Fahrwerk +++++
 Motor +++++
 Getriebeabstimmung ++++
 Innovation ++
 Preis +++
 Gesamteindruck +++++
 +++++ = Maximum

Benjamin Brodbeck

Benjamin Brodbeck ist 33 Jahre alt und studierte Automobilwirtschaft bei Prof. Dr. Diez. Danach wechselte er an die Universität Wien, wo er Publizistik- und Kommunikationswissenschaften studierte und mit dem akademischen Grad 'Magister der Philosophie' abschloss. Neben seiner Tätigkeit als Jazz-Pianist bringt er seine Leidenschaft für und sein Wissen von Automobilen in Form und Sprache als Publizist bei AUTOmativ.de sowie zahlreichen weiteren Plattformen und Unternehmen zum Ausdruck.

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