Kia EV9 GT-Line 6-Sitzer im Komfort- und Autobahn-Test

Dass Elektromobilität generell nicht immer die zentralen Versprechen einer vermeintlich besseren Welt einlösen kann, beweist unter anderem dieses Schwergewicht: Der Kia EV9 GT-Line trumpft auf mit 2,7 Tonnen Fahrzeuggewicht, 5,01 Metern Länge und einem Akku mit rund 100 Kilowattstunden (kWh), der alleine rund 600 Kilogramm wiegt und in der Praxis für rund 400 Kilometer Reichweite sorgt. Klingt nach einer Festung auf vier 21 Zoll großen, üppig bereiften Felgen. Aber ist dieses reine Elektro-SUV wirklich geeignet für regelmäßige Langstreckenfahrten?
Ein europäischer Straßenkreuzer
Der Kia EV9 GT-Line ist eine imposante Erscheinung, keine Frage. Auf den ersten Blick beherrscht der EV9 die Landstraße: Markante, kantige Linien in Kombination mit weichen Flächen lassen das Design gleichermaßen robust und edel wirken. Die aggressive Frontpartie weist aktive Luftklappen auf, während „Air Curtains“ im Frontstoßfänger die Luftführung optimieren, um den cW-Wert von 0,28 zu erreichen.
Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass die breit ausgestellten Kotflügel, das hohe Dach und die steile Frontscheibe eine erhebliche Stirnfläche erzeugen. Gemeinsam mit den üppig bereiften 21-Zoll-Leichtmetallrädern resultiert daraus auf der Autobahn ein nennenswerter Luftwiderstand, der sich direkt auf den Verbrauch auswirkt.
Antrieb und Rekuperation
Der Kia EV9 GT-Line rollt serienmäßig in der Allradversion mit zwei Elektromotoren, die gemeinsam 283 Kilowatt (385 PS) leisten und den Sprint von 0 auf 100 km/h in 5,3 Sekunden erlauben. Im Vergleich dazu bringt es der Hecktriebler mit einem 150-kW-Motor (204 PS) auf 9,4 Sekunden, erreicht in der Basis eine größere WLTP-Reichweite von bis zu 563 Kilometern.
Alle Versionen verfügen über eine 800-Volt-Ladetechnologie mit einem 99,8-kWh-Akku, der sich unter Idealbedingungen in 24 Minuten von 10 auf 80 Prozent aufladen lässt. Innerhalb von 15 Minuten kann so Energie für bis zu 249 Kilometer Reichweite nachgeladen werden. Diese Ladewerte stellen in der E-SUV-Klasse durchaus noch Ausnahmewerte dar und sind vor allem bei geplanten kurzen Pausen auf langen Strecken ein starkes Argument. Doch reicht diese Schnellladekurve wirklich aus, um den höheren Verbrauch auf Autobahnetappen wettzumachen?
Autobahn-Verbrauch und Reichweite
Unsere Messungen auf einer 600-Kilometer-Langstrecke bei konstantem Tempo von 130 km/h zeigten: Der EV9 GT-Line liegt im dichten Verkehrsstrom bei Außentemperaturen um die 18 Grad Celsius im Schnitt bei rund 28 kWh/100 km. Hochgerechnet auf den knapp 100-kWh-Akku (Brutto-Wert, Kia gibt den Netto-Wert nach wie vor nicht an) verbleibt bei dauerhaftem Autobahntempo eher eine praktikable Reichweite von ungefähr 350 Kilometern. Das ist deutlich unter den 505 Kilometern nach WLTP, die Kia für die GT-Line-Version (AWD) angibt.
Bei 140 km/h steigt der Verbrauch hingegen auf knapp 31 kWh/100 km, was die Reichweite noch weiter auf etwa 320 Kilometer reduziert. Hier zeigt sich klar, dass das hohe Gewicht von 2,7 Tonnen, die enormen Außenmaße und insbesondere die große Stirnfläche – kombiniert mit den 21-Zoll-Felgen im GT-Line-Look – den Luftwiderstand so in die Höhe treiben, dass jede Hochgeschwindigkeitsphase spürbar am Akkustand nagt. Für Pendler mit 100 Kilometern Autobahn am Tag mag dies verschmerzbar sein, wer jedoch regelmäßig 500 und mehr Kilometer am Stück zurücklegen muss, wird häufiger laden müssen als bei vielen Mittelklasse-SUVs. Heißt: Auf einer Strecke von Hamburg nach Stuttgart müsste man bei Geschwindigkeiten zwischen 120 und 130 Km/h ein Mal Zwischenladen wenn man mit vollem Akku losgefahren ist. Das ist durchaus in Ordnung. Nur: Man kann dann auch nicht schneller als 140 Km/h fahren.
Innenraum und Variabilität
Mit einem Radstand von 3,10 Metern bietet der Kia EV9 einen sehr großzügigen Innenraum auf einem ebenen Boden. Die serienmäßigen veganen Sitzbezüge aus Bio-Polyurethan und recycelten PET-Stoffen machen den Innenraum etwas nachhaltiger, wobei sich alle recycelten Komponenten auf nur etwa 34 Kilogramm summieren – immerhin. In der GT-Line-Sechssitzer-Variante befinden sich in der zweiten Reihe zwei Einzelsitze, die optional für 990 Euro Aufpreis als sogenannte „Swivel-Seats“ erhältlich sind. Sie lassen sich um 90 Grad zur geöffneten Tür hin oder um 180 Grad in Richtung dritter Reihe drehen, um zum Beispiel das Einbauen von Kindersitzen zu erleichtern oder in Parkpausen eine Lounge-Atmosphäre zu schaffen.
Swivel-Seats im Kia EV9: Komfort versus Platzverlust
Während die Swivel-Seats zweifellos ein beeindruckendes Feature sind, zeigen sich im Alltag unweigerlich Kompromisse: Sobald man die Sitze in Fahrtrichtung um 180 Grad dreht, beanspruchen sie mehr Raum in der zweiten Sitzreihe. Das führt dazu, dass der Fußraum der dritten Reihe deutlich knapper wird, weil die drehbare Basis der Sitze seitlich um bis zu 20 Zentimeter über den eigentlichen Sitzbereich hinausragt. Zudem steht hinter den gedrehten Sitzen selbst bei flach eingeklappter dritter Sitzreihe nicht mehr die volle Gepäckraumtiefe von 828 Liter (drittes Sitzpaar umgeklappt) beziehungsweise maximal 2.393 Litern (zweite und dritte Sitzreihe umgeklappt) zur Verfügung.

In Zahlen heißt das: Mit gedrehten Sitzen sind effektiv nur etwa 600 Liter uneingeschränkt nutzbarer Laderaum verfügbar, bevor man die dritte Reihe umklappen muss. Für Familien, die regelmäßig Kindersitze einbauen, mögen die Swivel-Seats das Handling in Spielpausen erleichtern, doch entsteht dadurch ein merklicher Verlust an Flexibilität: Die Swivel-Sitze blockieren gegenüber den normalen Lounge-Sitzen zusätzlichen Raum zwischen zweiter und dritter Reihe, der bei Bedarf für sperrige Gepäckstücke fehlt.

Sitzkomfort und Lounge-Charakter
Unabhängig von der Drehfunktion bieten die Sitze in der ersten und zweiten Reihe hohen Komfort: Vorne gibt es elektrisch einstellbare Premium-Relaxation-Sitze mit Beinauflage und Massagefunktion, während in Reihe zwei für die äußeren Sitze Sitzheizung und – bei Entspannungssitzen – Sitzventilation integriert sind. Zwischen den beiden Einzelsitzen der zweiten Reihe befindet sich eine Mittelkonsole mit ausziehbarer Ablage, die als kleiner Tisch dient. In der GT-Line sind darüber hinaus eine Dreizonen-Klimaautomatik, Privacy-Verglasung und Ambientebeleuchtung serienmäßig.


Die dritte Sitzreihe ist für Kinder oder kleinere Erwachsene geeignet; der Zugang erfolgt über manuelle Umlegungen oder die elektrisch gesteuerten Lehnen, die aus dem Kofferraum bedient werden. Mit allen drei Sitzreihen aufgestellt fasst der Kofferraum 333 Liter, was für einen Siebensitzer respektable Werte sind. Klappt man die dritte Reihe um, wächst das Volumen auf 828 Liter, legt man zudem die zweite Reihe um, ergibt sich eine ebene Ladefläche mit bis zu 2.393 Litern Volumen. Doch genau hier zeigen sich die Schwächen der Swivel-Seats: In gedrehter Stellung versperren sie einen Teil des Raums, sodass der Wagen nicht mehr das volle Volumen ausschöpft.

Alltagspraktikabilität und Langstrecken-Tauglichkeit
Für Familienreisen überzeugt der Kia EV9 mit einem Frunk-Volumen von 52 Litern in der Allradversion (90 Liter in der RWD-Version) und einer Anhängelast von 2,5 Tonnen – Spitzenwerte in der Klasse. Wer auf der Autobahn unterwegs ist, muss sich jedoch darauf einstellen, häufiger laden zu müssen: Mit einem realen Verbrauch von etwa 28 bis 31 kWh/100 km bei 130 bis 140 km/h sinkt die Nutzfahrstrecke auf etwa 320 bis 350 Kilometer. Da Kia die Reichweite je nach Version mit bis zu 563 Kilometern (Hecktriebler), 512 Kilometern (AWD) und 505 Kilometern (AWD GT-Line) angibt, sind diese Werte auf dem Prüfstand attraktiv, im Alltag aber fast nur mit sparsamen Landstraßen- und Cityfahrten erreichbar.
Wer häufig pendelt und auf Autobahntempo setzt, muss frühzeitig Zwischenstopps einlegen. Parkiert man nach rund 300 Kilometern, um den Akku aufzuladen, lässt sich dank der 800-Volt-Technologie innerhalb von 15 Minuten genug Energie für 249 Kilometer nachtanken – das entspricht etwa zwei Dritteln einer typischen langen Etappenstrecke. Trotzdem frisst die Ladepause die Zeitersparnis durch den schnelleren Vortrieb, denn ein durchschnittlicher Diesel-SUV bewältigt 700 Kilometer mit einem Tankstopp.
Fahrassistenz und Konnektivität
Der EV9 GT-Line bietet eine serienmäßige Ausstattung, die kaum Wünsche offenlässt: Autobahnassistent 2.0 mit Spurwechselunterstützung, Frontkollisionswarner 2.0, adaptive Geschwindigkeitsregelanlage mit Stop-and-go, Totwinkelassistent mit Monitoranzeige, Remote-Parkassistent 2.0 und eine Rundumsichtkamera sind ebenso an Bord wie LED-Scheinwerfer, sensorgesteuerte Heckklappe und ein digitales Kombiinstrument mit 12,3-Zoll-Bildschirm. Der neue Kia Connect Store ermöglicht Upgrades und OTA-Updates, was die Konnektivität stets auf dem neuesten Stand hält. Im Cockpit dominieren zwei 12,3-Zoll-Displays für Kombiinstrument und Navi, ergänzt durch einen 5,3-Zoll-Touchscreen für Klimafunktionen. Eine Fingerabdruck-Erkennung aktiviert beim Einsteigen automatisch das eigene Profil, während die V2L-Funktion („Vehicle-to-Load“) den EV9 in eine mobile 220-Volt-Stromquelle für Camping oder Baustellen verwandelt.

Fazit zum Kia EV9 GT-Line
Der Kia EV9 GT-Line 6-Sitzer ist ein beeindruckendes Statement für Elektrifizierung und luxuriösen Komfort: Ausgezeichnet als „German Luxury Car of the Year 2024“, bietet er mit Lounge-ähnlichem Interieur, nachhaltigen Materialien und vielseitiger Variabilität technisch alles, was man von einem modernen Elektro-Flaggschiff erwartet.
Auf der (deutschen) Autobahn zeigt sich jedoch, dass sein großes Format und die aerodynamischen Einschränkungen bei höheren Geschwindigkeiten zu einem deutlich erhöhten Verbrauch führen. Mit realen Verbräuchen von 28 bis 31 kWh/100 km bei 130 bis 140 km/h sinkt die Reichweite im GT-Line-Allrad auf etwa 320 bis 350 Kilometer – das bedeutet häufiger Ladeanforderungen als bei vielen anderen E-SUVs. Die ultraschnelle 800-Volt-Ladetechnik (249 Kilometer Reichweite in 15 Minuten) mildert diesen Nachteil zwar, kann aber die zusätzliche Ladezeit bei Langstrecke nicht vollständig kompensieren.
Die zweite Reihe mit ihren innovativen Swivel-Seats punktet zwar mit einem Lounge-Gefühl und einfacher Bedienung, kostet jedoch Platz in der dritten Sitzreihe und reduziert das ohnehin schon variabel nutzbare Ladevolumen teilweise deutlich. Wer primär Wert auf entspanntes Reisen mit hohen Komfortreserven legt und regelmäßige Ladepausen nicht als Hindernis empfindet, findet im EV9 GT-Line einen nahezu luxuriösen Reisebegleiter.
Reisende, die hingegen vorrangig lange Autobahnetappen bewältigen möchten, sollten sich bewusst sein, dass dieses Schwergewicht unter Autobahnbedingungen deutlich häufiger an die Ladesäule muss, als es die rein nach WLTP ermittelte Reichweite vermuten lässt. Insgesamt bleibt der Kia EV9 ein technisches Statement und eine echte Alternative zu Verbrenner-SUVs – mit der Einschränkung, dass der hohe Verbrauch bei Autobahntempo und der Raumverlust durch gedrehte Swivel-Seats Kompromisse erfordern.
Technische Daten Kia EV9 GT-Line | |
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Fahrzeugtyp | Siebensitziger Elektro-SUV |
Sitzanordnung | Optional als Sechssitzer (2 Einzelsitze in Reihe 2, drehbar) |
Länge | 5,01 m |
Gewicht (Fahrzeug) | ca. 2,7 t |
Akku-Kapazität | 99,8 kWh |
Akku-Gewicht | ca. 700 kg |
Reichweite im Test | ca. 400 Kilometer |
Reichweite WLTP (AWD) | 512 km |
Reichweite WLTP (AWD GT-Line) | 505 km |
Motorleistung (AWD) | 283 kW (385 PS) |
Beschleunigung 0–100 km/h (AWD GT-Line) | 5,3 s |
Höchstgeschwindigkeit (AWD) | 200 km/h |
Ladeleistung 10 – 80 % | 24 Min |
Ladeleistung 15 Min (Reichweite) | Strom für 249 km in 15 Min |
Lade-Architektur | 800-Volt |
Anhängelast | 2,5 t |
cW-Wert | 0,28 |
Kofferraum (alle Sitzreihen aufgestellt) | 333 l |
Kofferraum (dritte Reihe umgeklappt) | 828 l |
Kofferraum (zweite & dritte Reihe umgeklappt) | 2.393 l |
Frunk (AWD) | 52 l |
Frunk (RWD) | 90 l |
Anzahl der Airbags | 9 |
Garantie | 7 Jahre |
Testwagenpreis (6-Sitzer inkl. Swivel-Seats) | 83.370 € |