Gefangen beim Laden: Wenn der nächtliche Stopp zur Falle wird

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20:18 Uhr an einem Freitag Abend (noch Winterzeit), Rasthof Ilsfeld an der A81 in Richtung Würzburg: Drei Männer jungen bis mittleren Alters – angeblich aus Rumänien – stellen sich aus dem Nichts kommend neben mich. Während ich also den Ladestecker der Ionity-Ladesäule an den Kia EV6 anschließe, reihen sie sich neben mir auf, direkt vor das Terminal. Sie sprechen mich in sehr gebrochenem Deutsch an, fragen wie viel das Auto denn koste. Daraus sollte wenige Minuten später eine brenzlige Situation inklusive Polizei-Visite werden. Sie verdeutlichte mir, wie wichtig die richtige Positionierung von Ladestationen auf Rastplätzen tatsächlich ist. Und wie hoch – vor allem bei Abend- oder Nachtfahrten – das Risiko im Vergleich zur klassischen Tankstelle ist, unangenehme Situationen erleben zu müssen.

Aus dem Schatten der Dunkelheit hervorgetreten

Anders als beispielsweise bei einem Porsche Taycan fährt man mit dem Kia EV6 rückwärts an die Ladesäule, da sich der Anschluss hinten rechts befindet. Ich steige aus, gehe um das Auto und die Ionity-Ladesäule herum und starte den Ladevorgang. Zwei Parkplätze weiter neben mir parkte schon bei Ankunft ein Mercedes EQE, am Steuer sitzt eine blonde Frau – offensichtlich in ein Telefongespräch vertieft.

Die vier Ionity Ladestationen stehen am Rasthof Ilsfeld zusammen mit einer EnBW-Ladestation am Ende des Rasthofs, rund 500 Meter vom zentralen Gebäude entfernt. Ziemlich abseits und schon im Bereich der LKW-Parkplätze sind die Plätze zwar an sich hell beleuchtet, alles drumherum ist jedoch dunkel. So dunkel, dass man hinter den Ladern – “Bühnen-Effekt” – in ein schwarzes Loch blickt. Durchaus ein bisschen gruselig, aber ganz alleine bin ich ja nicht.

Als ich den Stecker mit dem Auto verbinde höre ich plötzlich “Schöne Auto”, ein Mann mit Kapuzenjacke kommt angelaufen und bleibt am Lader neben mir stehen. Ich gehe auf Abstand – wollte eigentlich noch schnell auf das Display der Ladesäule schauen. Schnell kommen zwei weitere Männer hinzu und verwickeln mich in ein Gespräch. Nichts Böses annehmend kommen wir in eine zwar leicht merkwürdige Unterredung, aber die drei Männer bleiben recht freundlich, auch wenn ich immer wieder den Abstand zwischen uns regulieren muss.

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Die Ladesäulen sind zwar an sich ganz ordentlich beleuchtet (kein Vergleich zu einer Tankstelle), aber hinter den Ladesäulen ist in der Nacht ein “schwarzes Loch”. Nahezu jeder kann sich hier unbemerkt bis auf wenige Meter heranschleichen. Und so schnell loskommen geht beim Laden eines Elektroautos nicht.

Schnell abhauen ist nicht – der Stecker steckt ja

Die Ladekarte in der Hand, den Stecker mit dem Auto verbunden, das Auto nicht abgeschlossen (was würde das in dieser Situation für einen Eindruck machen, wenn ich jetzt das Auto abschließe), die Hände in den Hosentaschen, versuche ich ihnen zuzuhören und der Geschichte von ihrer (angeblich) problematischen Reise zurück nach Rumänien ohne Geld und ohne “Benzin im Tank” zu folgen. Nach etwas über fünf Minuten wird klar: Sie wollen Geld. Übernachten angeblich seit 5 Tagen auf dem Rasthof und kommen nicht weg, weil sie kein Benzin im Tank haben. Als sie einen Schritt auf mich zumachen, ich in diesem Moment verneine, kommt ein Porsche Taycan angefahren und stellt sich an den Lader neben mich. Ablenkungsmanöver sozusagen.

Die Geschichte geht entsprechend unangenehm und diffus weiter. Ohne jetzt mit weiteren Details langweilen zu wollen war es tatsächlich dann so unangenehm, dass “wir Drei von der E-Tankstelle” (also Frau im Mercedes, Taycan-Fahrer und ich) oben im Hauptgebäude der Rastanlage standen und warteten bis unsere Autos vollgeladen waren. Und zum Glück kam kurz vor Lade-Ende eine Streife der Autobahn-Polizei zur Kontrolle vorbei. Ergebnis: Personenkontrolle und Platzverweis. Am Ende waren es acht rumänische Personen mit zwei Autos, die mittels Belagerungs-Taktik versucht hatten, gezielt im “dunklen Eck” Elektroauto-Fahrern und -Fahrerinnen Geld abzunehmen.

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TotalEnergies hat es hier im Beispiel ideal gelöst: Die Tankstelle zusammen mit der Ladestation angelegt. Hier gibt es keine dunklen Flecken. Zwar ist nur die Tankstelle überdacht, aber immerhin ist alles zusammenhängend beleuchtet und überwacht. Das ist der Vorteil einer Tankstelle.

Ja, kann fast überall passieren, aber …

Am Ende ist nichts passiert, außer dass mir die Belagerung und die plötzliche Präsenz der Männer aus der Dunkelheit gezeigt haben, dass der Ort der Ladestationen durchaus häufig in abgelegenen und dunklen Bereichen liegt. Zur Wahrheit gehört auch dazu: auch oft nicht. Jedoch merkt man beim Vergleich mit einer Tankstelle, dass die Sicherheitszonen sehr unterschiedlich sind. Bei einer Tankstelle hat man eine Überdachung, Flutlicht, ein Tankvorgang dauert maximal fünf Minuten und es sind verschiedene Kameras als auch Personal vor Ort. Das alles gibt es bei normalen Ladesäulen eher weniger. Darüber hinaus ist natürlich die Beendigung eines Zapfvorgangs schneller beendet als ein Ladevorgang.

Und “schnell mal abhauen” geht beim Laden auch nicht. Denn beim Beenden eines aktiven Ladevorgangs muss man aus dem Auto steigen, den Ladevorgang am Terminal der Ladesäule stoppen (oftmals nochmal die Ladekarte vorhalten), das Ladekabel entkoppeln und in die Ladesäule einhängen. Das dauert schon einen Moment. Wertvolle Zeit, die im ungünstigsten Fall genutzt werden kann. Auch wenn es – theoretisch (praktisch wissen die meisten nicht, wie) – bei manchen Elektrofahrzeugen die Möglichkeit gibt, die Notentriegelung von Innen zu betätigen.

Disclaimer

Nicht falsch verstehen: Dieser Beitrag soll nicht pauschalisieren oder Angst machen. Seit rund zwei Jahren testen wir regelmäßig Elektroautos und laden auch entsprechend oft. Das zuvor Beschriebene ist mir in dieser Form noch nie passiert. Aber gerade diejenigen, die gerne Nachtfahrten einplanen – so wie ich – sollten dafür sensibilisiert sein, dass viele Ladestationen eben ab vom Schuss (sorry für das Wortspiel) sind, vor allem im Vergleich zur klassischen Tankstelle. Und dass potentielle Angreifer dies auch schon nutzen – wie oben beschrieben. Vor allem verbringt man beim Laden auch deutlich länger an einem Ort. Zeit, in der sich böswillige Menschen eben aus der unmittelbaren Nähe, aber im Schutz der Dunkelheit, vorbereiten können.

Benjamin Brodbeck

Benjamin Brodbeck ist 33 Jahre alt und studierte Automobilwirtschaft bei Prof. Dr. Diez. Danach wechselte er an die Universität Wien, wo er Publizistik- und Kommunikationswissenschaften studierte und mit dem akademischen Grad 'Magister der Philosophie' abschloss. Neben seiner Tätigkeit als Jazz-Pianist bringt er seine Leidenschaft für und sein Wissen von Automobilen in Form und Sprache als Publizist bei AUTOmativ.de sowie zahlreichen weiteren Plattformen und Unternehmen zum Ausdruck.

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