Porsche 718 Boxster GTS 4.0 Fahrbericht: Wirklich (noch) besser als 981 GTS?

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Wer hätte es gedacht: Porsche gibt seinen 718 Boxster GTS und Cayman GTS Modellen den “4.0”-Zusatz – und rangiert seine 2,5 Liter kleinen 718 GTS in den nächsten Monaten aus. Mit der “4.0” weiß jeder: “Das ist der große Sechszylinder!” Euphorisch war auch ich – wie ein kleines Kind – als ich zur Fahrveranstaltung des neuen Porsche 718 Boxster GTS 4.0 eingeladen wurde. Wie er sich fährt und ob er nochmal heißer ist, als der ohnehin schon emotionale 981 Boxster GTS, lesen und sehen Sie hier!

Immer am Drehen – bis 7.800 U/min

Die für rund 5.400 Euro optional erhältlichen Carbon-Schalen halten mich fest, sodass die Pedal-, Lenk- und Schaltarbeit ganz in Ruhe und ohne Körperanspannung funktionieren kann. Die Schaltgassen sind superpräzise und direkt. Man muss nicht den Hauch einer Sekunde darüber nachdenken, wie man am besten mit der Schaltbox umgeht. Man macht es einfach, weil das Teil so gut abgestimmt ist.

Galerie: Porsche 718 Boxster GTS 4.0 im Fahrbericht

Porsche 718 Boxster GTS 4.0 im Fahrbericht
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Rund 5.400 Euro kostet ein perfekter Seitenhalt. Aber es lohnt sich. ...

Ob man da wirklich noch auf das rund 2.500 Euro Aufpreis-pflichtige PDK warten muss? Ab 6.000 Umdrehungen brüllt der Boxer-Sechszylinder mit 400 PS Leistung unaufhörlich und vermittelt mir sein unstillbares Verlangen nach Drehzahlen. Wie ein kleines Monster will er beschäftigt und belastet werden – und hört einfach nicht auf zu brüllen.

7.800 Umdrehungen sind in den unteren Gängen schnell erreicht – vom Gas gehen oder gar die Bremse hinzuzunehmen wird lediglich durch scharfe Kurven direkt vor der Nase erzwungen. Und das auch nur im letzt möglichen Moment. Zu fixiert lasse ich mich mitreißen von der Drehzahl-Orgie des Porsche 718 Boxster GTS 4.0.

Zum Glück ist das kein Problem für die Bremsen: Die optional in Schwarz lackierbaren Grauguss-Bremsen (ca. 800 Euro) packen kräftig zu und sind gleichzeitig linear dosierbar. Optional gibt es Keramik für über 8.000 Euro Aufpreis. Ist wunderschön zu fahren, der Bremsstaub bleibt aus und die Langlebigkeit wird deutlich erhöht, aber die 8.000 Euro investiert man lieber in die Schalensitze und das GTS-Paket.

Die Zwischengasangleichung beim Herunterschalten übernimmt im Sport-Modus die Elektronik. Wer dies selbst übernehmen möchte, muss schneller sein. Aber auch das funktioniert, ist aber nicht nötig. Denn: So kann man vor einer Kurve auf der Bremse stehen bleiben ohne die Ferse für den richtigen Gasstoß bemühen zu müssen. Auch eine Art Komfort. Sport-Komfort, wenn man es so nennen möchte.

Nun, klar ist der Vierliter-Sechser im Boxster nur bedingt mit dem Vierliter des GT3 zu vergleichen. Letzterer dreht höher und hat nochmal ordentlich mehr Leistung. Aber vom Gefühl sind beides eben doch Geschwister: Im 718 arbeitet eben der kleine Bruder, der die besten Anleihen und Gene seines großen Bruders mitbekommen und schon drauf hat.

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Lohnen sich in jedem Fall: Die optionalen und elektronisch in der Höhe verstellbaren, aber nicht klappbaren Karbonschalensitze.

718 Boxster GTS 4.0 im Fahrwerks-Himmel

So gierig wie er nach Drehzahlen brüllt, giert er auch in den Kurvenradius. Alles dreht sich beim Mittelmotorsportler um die Mitte. Und so kommt das Heck immer leicht und dreht die Nase spielerisch ins Kurveninnere. Obwohl ich auf das Bremspedal Volllast gebe, bleibt der offene Sportler ruhig und verzögert souverän. Kein Schwänzeln, kein unruhiges Anstellen vor der Kurve. So kann man in den Scheitelpunkt hineinbremsen und von dort aus wieder behutsam Druck auf das Gaspedal geben.

So wird aus einer eher aggressiven Linie trotzdem ein sauberer Stil. Das Fahrwerk mit PASM ist um 20 Millimeter tiefer. Optional kann man es auch auf nur 10 Millimeter niedriger konfigurieren. Das ist für Märkte mit eher schlechten Straßen wichtig, aber auch für Deutschland auf Wunsch erhältlich. Sieht aber blöd aus und bringt fahrdynamisch nur mehr Komfort. Also gar nicht erst daran denken. Der GTS 4.0 bleibt ein dynamischer Sportler, kein cooles Opi-Skateboard.

Ist er ein günstigerer Boxster Spyder?

Der Motor des Porsche 718 Boxster GTS 4.0 kommt direkt aus dem Boxster Spyder bzw. GT4 – nur mit 20 PS weniger Leistung. Allerdings stammt die Vorderachse – im Gegensatz zum 718 Spyder und GT4 – nicht aus dem GT3. Auch ist das Verdeck elektrisch zu schließen und zu öffnen. Beim Spyder geht dies manuell.

Trotzdem sind sehr viele Parallelen vorhanden: Selber Motor, ähnliche Fahrwerksabstimmung (bis auf die GT3-Vorderachse), nahezu identisches Interieur und eine ähnliche Getriebeabstimmung. Und das ganze für deutlich weniger finanziellen Einsatz.

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Phytongrün heißt diese Exterieurfarbe hier und kostet rund 2.400 Euro. Funfact: Bei der Generation 981 hieß diese Farbe einfach nur “grün”.

“4.0-Boxermotor aus dem GT3”?

Auch wenn die Ähnlichkeiten nach Außen hin vorhanden sind: Der Motor des 911 GT3 ist konstruktiv anders als der des GTS 4.0 und GT4. Klar ist auch: Man bekommt hier keinen Boxster mit GT3 Motor. Richtiger wäre: Man bekommt einen Boxster (bzw. Cayman) mit einem Sechszylinder- Saugmotor, der Hubraum und Bauart Gene des 4.0-Motors des 911 GT3 aufweist.

Es gibt lediglich nur einen offenen Porsche mit GT3-Motor – und das ist der 991 Speedster. Denn klar ist auch: Hätte der Boxster den selben Motor wie ein GT3 würde niemand für einen Speedster so viel Geld bezahlen – Limitierung hin oder her.

Hier sind ein paar markante Unterschiede: Der Alusil-Motor des GT3 ist eine Weiterentwicklung des 3.8er des 991.1 GT3 VFL mit 475 PS (9A1 Motor). Der GTS 4.0 basiert bereits auf der neuen Motorenfamilie des 991.2 Carrera 3.0 Biturbo (9A2). Hier hat man von Alusil auf eine weichere Alu Legierung und Plasmabeschichtung RSW umgestellt. Die sehr teuren und aufwendigen Unterschiede von GT3-zu GT4/GTS-Motor sind:

  • Integrierte Trockensumpfschmierung vs. echte Trockensumpfschmierung
  • Zentrale Drosselklappe beim GTS vs. Einzeldrosseltechnik beim GT3
  • komplett anderer Zylinderkopf mit Gleitschlepphebel beim GT3 vs. Rollschlephebeltrieb beim GTS/GT4
  • Titanpleuel beim GT3

Der Preis für einen Motor des GTS/GT4 liegt bei rund 30.000 Euro. Der Motor eines GT3 bei rund 70.000 Euro. Man kann sagen, dass der GT3-Motor ein echter Rennmotor ist.

Ungeliebtes Kind: 718 Boxster GTS

Selbst ich war überrascht über die Nachricht, dass Porsche in seine GTS-Modelle in Zukunft wieder Sechszylinder einbaut. Und dann noch mit so viel Hubraum: sogar die gleiche Größe und ein ähnliches Layout wie ein 911 GT3 Motor. Wahnsinn. Selbst Porsche-intern sei diese Entscheidung vor nicht allzu langer Zeit eine Überraschung gewesen, sagt man.

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Nahezu jeder dachte, dass der 981 Boxster GTS – sowie sein Cayman-Pendant – die letzten mit Sechszylinder-Saugmotor wären. Lediglich die Spyder- und GT4-Modelle sollten den Sechszylinder weiter in sich tragen. EU-CO2-Ausstoßregularien sei Dank.

Haben wir uns doch noch im Jahr 2016 die Frage gestellt, ob man sich den letzten Sechszylinder-Boxster GTS kaufen soll. Nun: es war wohl doch noch nicht der letzte. Blöd für die Wertentwicklung des 981, aber gut für die Baureihe.

Der Vierzylinder der 718 Baureihe hatte es nie ganz leicht. Akzeptiert wurde er – und wird er noch – für die Einstiegs- sowie für die S-Version. Aber Kunden wollten keine 80.000 oder 90.000 Euro für einen Boxster zahlen, um dann mit einem kleinen – und unrund laufenden – Vierzylinder nach Hause zu ruckeln. Deswegen ersetzt die 4.0-Variante des 718 Cayman sowie des Boxster jetzt die “normale” GTS-Variante.

718 Boxster GTS 4.0 also besser als 981 Boxster GTS?

Wie so oft ist die Sache nicht ganz so einfach zu beantworten. Die Wahl zwischen 718 Boxster S und 981 Boxster GTS ist für mich klar – auch die Wahl zwischen 718 Boxster GTS und 981 Boxster GTS gewinnt ganz klar letzterer.

Der um 0,6 Liter größere Hubraum beim Boxster GTS 4.0 ermöglicht dem kleinen Zweisitzer nochmal ein Plus an 60 PS Leistung und ein paar Newtonmeter mehr Drehmoment. In Kombination mit dem manuellen Sechsgang-Schaltgetriebe, dem präziseren Einlenken und der Mehr-Power scheint es der noch bessere Boxster zu sein. Oder zumindest ein Boxster, der wieder weiterentwickelt wurde – und damit noch schneller, noch agiler und einfach noch heißer geworden ist.

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Der 981 Boxster GTS ist nicht nur eine Augenweide – er klingt auch großartig.

Auf der anderen Seite steht der Sound. Während die serienmäßige Klappenanlage des 4.0 im Stand und bis 7 Km/h zwar schön brabbelt, wird sie danach sehr zurückhaltend. Auch zwischen 30 und 33 Km/h regelt die Klappe die lautstarken Brennräume weg. Freunde des 981 GTS Klangs (ich) werden hier nicht ganz auf ihre Kosten kommen.

Fazit zum 718 Boxster GTS 4.0

Wer also bei diesem Boxster GTS 4.0 nicht die volle Klangkulisse erwartet – und haben möchte – wird nichts vermissen. Präzision trifft auf qualitativ hochwertige Fahrkultur, der volle Blumenstrauß an Emotion trifft auf Renn-Atmosphäre.

Der Grundpreis des Porsche 718 Boxster GTS 4.0 liegt bei 84.000 Euro, einen schönen, aber mager ausgestatteten gibt es mit Sicherheit schon für 92.000 Euro. Dabei nicht vergessen: Für ein vollumfassendes Erlebnis sind die Carbon-Schalen auf jeden Fall Pflicht. Sie machen nicht nur den rasanten Ritt angenehmer, sondern vermitteln einem auch eine noch deutlich stärkere Verbundenheit mit dem Auto und sind – zumindest für mich und meine Statur – auch auf der Langstrecke deutlich komfortabler.

 Bewertung Porsche 718 Boxster GTS 4.0 (2020)
 Optischer Eindruck +++++
 Qualität Karosserie +++++
 Lackqualität Karosserie +++++
 Qualität im Interieur +++++
 Sitzkomfort Cockpit +++++
 Sitzkomfort Fonds n. v.
 Digitales Bedienkonzept +++
 Raumangebot +++
 Innenraumgeräusch / Dämmung +++
 Lenkung +++++
 Spurtreue +++++
 Fahrwerk +++++
 Motor +++++
 Getriebeabstimmung +++++
 Innovation ++++
 Preis ++++
 Gesamteindruck +++++
  +++++ = Maximum

Benjamin Brodbeck

Benjamin Brodbeck ist 33 Jahre alt und studierte Automobilwirtschaft bei Prof. Dr. Diez. Danach wechselte er an die Universität Wien, wo er Publizistik- und Kommunikationswissenschaften studierte und mit dem akademischen Grad 'Magister der Philosophie' abschloss. Neben seiner Tätigkeit als Jazz-Pianist bringt er seine Leidenschaft für und sein Wissen von Automobilen in Form und Sprache als Publizist bei AUTOmativ.de sowie zahlreichen weiteren Plattformen und Unternehmen zum Ausdruck.

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